«Wichtig ist, dass wir Prioritäten setzen und uns nicht verzetteln»
Christiane Guyer hat am Sonntag die ersten 100 Tage als Frau Stadtammann hinter sich. Im Interview mit dem ZT spricht sie über den Kitt im Stadtrat, die Herausforderung, gute Leute einzustellen – und den Vorwurf, sie halte sich nicht an die Gemeindeordnung.
Christiane Guyer sitzt in ihrem perfekt aufgeräumten Büro im ersten Stock des Stadthauses und schenkt dem Gast Wasser ein. «Das holen wir von einem der Brunnen, die ja in Zofingen eine eigene Wasserversorgung haben», sagt sie. Der 10. April ist ihr 100. Tag als Frau Stadtammann – oder, wie sie selber lieber sagt, als Stadtpräsidentin. Wie hat sie diese ersten 100 Tage erlebt? Was hat sie schon erreicht? Zeit für eine erste Bilanz.
Frau Guyer, was ist ihre Bilanz der ersten 100 Tage?
Ich bin gut und dynamisch gestartet. Ich konnte den Schwung, der meinem Naturell entspricht, einbringen. Die Vielseitigkeit der Aufgabe und der Themen ist faszinierend. Den Schwung konnten wir auch im neu zusammengesetzten Stadtrat mitnehmen. Wir sind auf verschiedenen Ebenen gut gestartet und auf Kurs. Wichtig ist, dass wir Prioritäten setzen und uns nicht verzetteln.
In den letzten Wochen erkrankten viele Leute an Corona. Sie auch?
Nein, bis jetzt nicht – oder ich weiss nichts davon. Die regelmässigen Tests fielen immer negativ aus.
Gab es etwas, das sich anders entwickelt hat als Sie es erwartet haben?
Ein herausforderndes Thema ist die Personalrekrutierung. Der Fachkräftemangel ist auch bei der Stadt Zofingen spürbar. Wir haben immer öfter Mühe, Stellen zu besetzen.
Wo ist es speziell schwierig, Leute zu finden?
Es zieht sich durch alle Bereiche. Einige Stellen konnten wir glücklicherweise dennoch gut besetzen. Wir müssen uns als Arbeitgeberin immer weiterentwickeln, damit wir die aktuellen Anforderungen erfüllen können.
Ein Highlight war das Treffen des österreichischen Bundeskanzlers mit Bundespräsident Ignazio Cassis in Zofingen.
Ja. Wir wurden sehr kurzfristig angefragt und hatten deshalb eine kurze Vorlaufzeit. Schade war, dass die Bevölkerung nur eingeschränkt dabei sein konnte. Im Nachgang erhielten wir von den involvierten Stellen sehr gute Rückmeldungen, auch was das Essen betrifft. Unser offener, unbürokratischer Umgang wurde sehr geschätzt.
Der Kanzlerbesuch war das erfreuliche Ereignis. Das traurige ist der Krieg in der Ukraine.
Für mich war sofort klar, dass Zofingen dort, wo es möglich ist, einen Beitrag leistet. Die ehemalige Jugendherberge bot sich als Unterkunft an, das haben wir dann umgehend so aufgegleist. Die ersten acht Personen sind dort jetzt eingetroffen, es kommen laufend weitere hinzu. Es gibt in Zofingen auch eine separate Schulklasse mit ukrainischen Kindern; sie ist am Mittwoch in der ehemaligen Migros-Klubschule gestartet. Unterrichtet werden die Kinder durch eine ukrainische Lehrerin.
Wie ist die Zusammenarbeit im Stadtrat angelaufen? Ist es eine muntere Truppe – oder eine, die sich fetzt?
Wir sind eine gute Truppe! Wir haben uns gleich zu Beginn darüber ausgetauscht, wie wir zusammenarbeiten wollen. Diesem Thema haben wir uns im Januar einen ganzen Nachmittag gewidmet, unsere Personalleiterin hat das Treffen moderiert. Das gab einen sehr guten Boden. Wir haben definiert, was uns bei der Zusammenarbeit wichtig ist. Wie verstehen wir unsere Rollen? Nach welchen Werten – beispielsweise Respekt, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit – richten wir uns aus? An welchen Zielen orientieren wir uns?
Der Stadtrat zog sich auch zu einer Retraite zurück.
Ja, wir waren drei Tage in Adelboden und haben sehr fokussiert am Legislaturprogramm gearbeitet. Es waren drei intensive Tage. Gemütlichkeit am Abend hatte aber auch Platz. Wir konnten einen offenen und ehrlichen Umgang, aber auch einen guten Zusammenhalt erarbeiten. Das Legislaturprogramm ist noch in Arbeit. Der Öffentlichkeit vorstellen wollen wir es Mitte Jahr.
Können Sie schon etwas dazu sagen?
Eine Kernaussage, die zugrunde liegt: Zofingen bietet als regionales Zentrum mit seinen vielfältigen Angeboten eine hohe Lebensqualität. Das muss die Grundstossrichtung sein. Im Köcher sind einige wichtige regionale Projekte – konkret das Neubauprojekt des Entsorgungsverbandes Erzo und die geplante Fusion der vier regionalen Energieversorger. Es ist wichtig, dass wir die gesamte Region weiterbringen. Zentral sind auch die digitale Transformation und die Entwicklung der Verwaltung.
Hier hat die Stadt einen Projektleiter eingesetzt.
Ja, er wird auch die diversen Projekte im Digitalbereich begleiten. Wir wollen eine gute Dienstleisterin sein, die unsere Kundinnen und Kunden rasch bedient. Wir wollen möglichst einfache und schlanke Prozesse, damit wir Ressourcen für neue Aufgaben und Herausforderungen gewinnen können.
Eine der wichtigen Weichenstellungen war die Tatsache, dass Stadtrat Peter Siegrist das Finanzressort übernommen hat. Wie stark involvieren Sie sich noch in Finanzfragen?
Bei vielen meiner vielfältigen Aufgaben sind die Finanzen ein wichtiger Aspekt. Wir haben das Ressortführungssystem – die Aufgaben wurden nach Kompetenzen und Interessen verteilt. Wir haben gegenseitig das Vertrauen, dass das funktioniert; insofern sehe ich mich nicht als Kontrollinstanz.
Der Aargau stimmt am 15. Mai über eine Steuergesetzrevision ab. Die Unternehmen sollen weniger Steuern zahlen müssen, Private sollen durch höhere Abzüge ebenfalls profitieren. In Zofingen wird das ungefähr eine Million Franken weniger Steuereinnahmen bedeuten.
Das wäre eine empfindliche jährliche Einbusse. Warten wir ab, wie die Abstimmung ausgeht. Im Moment scheint mir der Ausgang offen.
Sie sind für ein Nein?
Persönlich, ja.
Kann man schon sagen, wo man die eine Million einsparen will, wenn die Vorlage angenommen wird?
Nein, das kann man noch nicht.
Schon länger in der Pipeline ist der sogenannte Altstadt-Prozess. Wie geht es hier weiter?
Wir wollen zuerst das Legislaturprogramm als Gesamtstossrichtung unter Dach und Fach bringen. Der Plan ist, dass wir im Herbst oder Anfang 2023 den Altstadt-Prozess anstossen, den wir partizipativ gestalten wollen – also die Bevölkerung bei diversen Themen einbeziehen wollen.
Für Diskussionen sorgte die Tatsache, dass Sie sich dort, wo es möglich ist, Stadtpräsidentin nennen und nicht Frau Stadtammann – auch ihr Büro ist mit Stadtpräsidentin angeschrieben.
Das ist seit dem 1. Januar so.
Es gab eine Interpellation im Einwohnerrat. Tenor ist die Frage: Setzen Sie sich über die Gemeindeordnung hinweg?
Nein, dem ist nicht so. Der Vorstoss ist hängig, ich will der Beantwortung nicht vorgreifen. In offiziellen Angelegenheiten gilt die Bezeichnung Stadtammann; in Urkunden, bei Einwohnerratsvorlagen oder auch gegenüber dem Kanton ist selbstverständlich, dass wir Stadtammann schreiben. Übrigens: In ganz offiziellen Zusammenhängen bezeichnen wir uns nach wie vor nicht als Stadt, sondern als Einwohnergemeinde.
Eine Frage zur Präsenz der Regionalpolizei. In Stunden nahm diese 2021 gegenüber den Vorjahren ab. Warum?
Wir hatten 2021 weniger verfügbares Personal, auch durch Weggänge, die wir nicht sofort ersetzen konnten. Auch hier ist es alles andere als einfach, neue Leute zu finden. Im Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit waren die Polizistinnen und Polizisten aber mehr draussen präsent.
100 Tage sind vorbei. Was liegt Ihnen für die restlichen 1361 Tage der Legislatur besonders am Herzen?
Mir liegen Menschen und der Dialog mit Ihnen sehr am Herzen. Nur auf dieser Grundlage kann man mehrheitsfähige und weitsichtige Lösungen erarbeiten. So können wir Zofingen als moderne und ökologische Stadt weiterentwickeln.
Quelle: Zofinger Tagblatt vom 9. April 2022